Ich war dabei: Enrico Meier

Vor 54 Jahren war ich auch dabei!!!

Als 16 jähriger betätigte ich mich wie viele andere als Gitarrero, mit mässigem Erfolg. Meine Präferenzen galten den Rolling Stones, Cream und Jimi Hendrix. So kam es, dass ich mich für das Monsterkonzert interessierte und mit dem kargen Lehrlingslohn ein Ticket erstand.

Am 31. Mai 1968 fuhr mich dann ein Freund mit dem Auto zum Hallenstadion, welches ich als Radrennfahrer bestens kannte, und ich erlebte im wahrsten Sinne des Wortes ein wahnsinniges Konzert. Ich sass von der Bühne gesehen rechts auf dem Tribünenteil, nicht im Parkett wo Stühle dran glauben mussten. Der erste Höhepunkt schon als dritte Band, John Mayall’s Bluesbreakers, eine Offenbarung für mich. Aus irgend einem Grund hatte ich John Mayall bis zu diesem Event nicht auf dem Radar. Heute schaue ich mir immer wieder Videos aus jener Zeit mit John Mayall an. Wie nachzulesen ist, hat er die ersten Hitzköpfe mit einer Pause erstmalig beruhigt. Danach ging es Schlag auf Schlag gute Music von Traffic, Move bis zu den Animals, deren Dia-Bühnenshow wiederum unter die Superlative Fantastic zu kategorisieren ist. Schliesslich der Höhepunkt; Jimi Hendrix himself. Was er ablieferte war für mich schlichtweg grandios. Den Red House Blues virtuos und überlang mit keinen Wiederholungen habe ich noch heute in bester Erinnerung. Rundum für mich ein Konzert das seinesgleichen sucht. Glücklich mit vielen Impressionen ging es wieder nach Basel, aber besser Gitarre spielen konnte ich deswegen nicht. Nein ich liess es bleiben und erst jetzt seit der Pensionierung habe ich mich wieder an das Gitarrenspiel gewagt und denke gerne an das Monsterkonzert zurück.

Enrico am 31. Mai 2022

Fotos: Enrico ca. 1968


 

 

Ich war dabei: Volker Skierka

The Jimi Hendrix Experience, Eric Burdon and the Animals, The Move, Traffic und John Mayall and the Bluesbreakers waren angesagt zum gewaltigsten Rock- und Bluesspektakel in Zürich, mitten im geweihten Epizentrum von Geld, Gold und Anstand. Mochte im fernen Vietnam ein Krieg toben und in der Londoner Carnaby Street sowie im kalifornischen San Francisco die Hippie-Generation sinnsuchend Love-and-Peace entdecken, aus der Perspektive der beschaulichen Schweiz war das alles bis dato weit, weit weg. Bis zu jenem 30. und 31. Mai 1968, als sich plötzlich im Zürcher Hallenstadion dieser Höllenschlund in Gestalt eines sogenannten „Monsterkonzerts“ auftat und Tausende Langhaarige in bunt wallender Garderobe - seinerzeit auch gern „Gammler“ genannt - ins brave Ambiente am Zürichsee lockte und zusammen mit ihnen alle guten Sitten zu verschlingen schien.

Für unsere Schülerzeitung „informa“ stets auf rebellische Attraktionen aus, wollten mein Schulkamerad Norbert G. und ich unbedingt mit in diesen Strudel gerissen werden. Also wanderten wir am 31. Mai früh morgens vom deutschen Industriestandort Rheinfelden über die Rheinbrücke in das mittelalterliche schweizerische Rheinfelden, stiegen dort in einen Bummelzug ins gut 80 Kilometer entfernte Zürich. In unserer späteren Reportage las sich das dann so: Kaum waren wir um 5:30 Uhr morgens in Zürich angekommen „ging der Trubel auch schon los. Zuerst Tasche ins Schließfach, telefoniert, Hotel der Stars ausfindig gemacht“. Es war das Hotel „Stoller“, ein kleines eher biederes Stadthotel nahe dem Albisrieder Platz (welches heute als Star-Herberge unvorstellbar wäre). Also sind wir erstmal dorthin kutschiert – mit der Straßenbahn. Dort erfuhren wir vom Portier, dass alle im Hallenstadion bei der Probe seien. Doch dann erblickten wir in der Lobby Roy Wood von „The Move“ mit deren Manager Tony Secunda. Sofort drängten wir uns ihm auf und „erbeuteten“ ein Kurzinterview, ein Autogramm („Best wishes Roy Wood“) und ein gemeinsames Foto.

31. Mai 1968 Hotel Stoller, Zürich. Volker interviewt Roy Wood und Tony Secunda © Volker Skierka


 


 

 

 


 

Von dort ging es dann ins Hallenstadion. Mit unseren am Küchentisch selbstgebastelten Presseausweisen erschnorrten wir nach einigen Mühen zwei Eintrittskarten zum Monsterkonzert am Abend. Doch zunächst wollten wir zum Bühneneingang, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Irgendwann mogelten wir uns dann aber doch dorthin durch. Vielleicht ließ man uns auch durch, weil wir kurz behaart und ordentlich gescheitelt waren und kleinstädtisch gekleidet auf harmlose Weise provinziell wirkten. Wir waren gerade mal knapp 16 Jahre alt. Dennoch stellten wir uns selbstbewusst - mit meinem vom Gesparten erworbenen Uher 4000-Tonbandgerät und Mikrofon bewaffnet – irgendwie allen in den Weg, die an uns vorbei wollten und bettelten um ein Interview an: Jimi Hendrix, Steve Winwood, Eric Burdon und wer sonst noch so aufkreuzte. (Heutzutage wäre so etwas völlig ausgeschlossen. Aber damals waren die Stars eben noch zum „Anfassen“ und nicht von monströsen, sonnenbrillengestylten Türstehern und Bodyguards umringt und abgeschirmt. Die Roadies, die damals um sie herumschwirrten, waren eher gemütliche, leicht angekiffte Typen, die unsereinen eher komisch fanden.) Und auch Jimi Hendrix schien höchst amüsiert (wahrscheinlich auch wegen unseres Schul-Englisch). Jedenfalls sagte er, das mit dem Interview ginge jetzt nicht, aber wir sollten doch nach dem Konzert am Abend ins Hotel kommen und nach ihm fragen. Meinte er das wirklich ernst? Na, wir würden es ja sehen.

31. Mai 1968 Jimi Hendrix schreibt Autogramme hinter dem Hallenstadion in Zürich Volker ganz rechts im Bild © Alain Coppet


 

 

 

  

 

 

 

Am Abend ging dann im Hallenstadion die Post ab – wir wurden Augen- und Ohrenzeugen eines der bis heute außergewöhnlichsten Konzerte im Spießer-Herzen Europas, fernab der Kult-Zentren Paris und London, wo solches längst an der Tagesordnung war. Kaum war das Spektakel nach Stunden zu Ende, hasteten wir zur Straßenbahn, und rumpelten mit der letzten Tram zum „Stoller“. Als wir dort weit nach Mitternacht eintrafen und keck nach Jimi Hendrix fragten, sah der Rezeptionist uns von oben bis unten und von unten bis oben an und lachte uns einfach aus. Hartnäckig und selbstbewusst insistierten wir, auf dass er endlich bei Hendrix auf dem Zimmer anriefe und ihm sage, dass wir nun da wären. Irgendwann tat er es dann tatsächlich, wenn auch widerwillig, wohl in der Hoffnung und Erwartung, dass Hendrix uns eine Abfuhr erteilen und er uns dann los endlich würde. Aber siehe da, die Miene des Rezeptionisten erschien immer bedröppelter. Ja, sagte er, Jimi Hendrix käme in zehn Minuten runter, wir sollten in der Lobby warten. Er kam natürlich nicht nach zehn Minuten runter. Auch nicht nach fünfzehn und auch nicht nach zwanzig Minuten. Längst verspürte der Kerl hinter dem Tresen wieder Oberwasser, grinste zunehmend höhnischer und meinte schließlich, wir sollten nun endlich verschwinden. Wir aber harrten aus. Und siehe da, plötzlich – es war gegen 01:30 Uhr Uhr nachts - sahen wir nach etwa 25, 30 Minuten an der Anzeige über der Lifttür wie der Fahrstuhl sich von oben nach unten bewegte. Das konnte nur Hendrix sein. Dann ging die Tür auf und tatsächlich erschien Jimi mit einer uns unbekannten Blondine an seiner Seite und – wie sich später herausstellte - Dave Mason, dem Bassgitarristen der Traffic. Als er uns beide adrett gescheitelte Schulbuben mit ihrem Tonbandgerät und Mikro erblickte, zeigte er mit dem Finger auf uns - und kriegte einen bekifften Kicheranfall. Das erinnere ich noch so, als ob es gestern gewesen wäre.

1. Juni 1968 ca. 01:30 Hotel Stoller, Zürich. Jimi Hendrix, Catharina Koch und  Dave Mason © Volker Skierka

 


 


 

 

 

 

 

 

 

 

Dann sagte er so etwas wie: Ok guys, lasst uns das Interview machen und lotste uns doch tatsächlich in eine düstere Ecke der Lobby, wo wir - im Blickfeld des verblüfften Rezeptionisten - so fünf, zehn oder 15 Minuten (vor lauter Aufregung verloren wir das Zeitgefühl) - mit ihm in unserem holperigem Schul-Englisch sprachen. Er stützte sich währenddessen auf seine Begleiterin, um die Balance zu halten. Wir stellten ihm ein paar naive Fragen nach seinem Lebenslauf und seiner Musik im Allgemeinen. Besonders aber waren für uns auch unsere persönlichen Eindrücke. Leider gibt es kein Foto davon, weil wir zu aufgeregt waren und es auch zu dunkel war. Nur als er den Fahrstuhl verlassen hatte, gelang mir ein unterbelichteter Schnappschuss von ihm und seiner Begleiterin.

Nach dem Interview entschwand er mit seiner Blondine in der Nacht – zu einer Party? Das Tonband mit diesem und den anderen damals in Zürich gemachten Interviews hütete ich – leider, leider nicht - wie einen Schatz. In den Jahren danach ist es entweder überspielt worden oder verloren gegangen. Insgeheim hoffe ich aber immer noch, dass es irgendwo in einer Kiste mit Jugenderinnerungen wieder auftaucht. Das Bandgerät selbst gibt es immerhin noch, wenn auch nicht mehr betriebsfähig, und man müsste heute lange suchen, um eine Bandmaschine zu finden, auf denen sich das Interview – sollte es noch existieren - abspielen liesse. Das Ergebnis unseres Interviews erschien in Berichtsform in unserer Schülerzeitung "Informa" und las sich – auszugsweise – so: „…Hobbies hat Jimi, außer seiner Gitarre, keine. Jimi gibt dem Beat noch eine große Zukunft. Auf der Bühne vergleicht man Jimi Hendrix oft mit einem wilden Tier, mit Recht. Privat ist Jimi jedoch ganz zahm. Allerdings hat er einen Wust von Starallüren und ist etwas unsauber (Zähne, Fingernägel). Seine Haare pflegt er gut. Im übrigen amüsierte sich Jimi während unseres Gesprächs über unser hervorragendes (?) Englisch, wobei wir Mühe hatten, ihn zu verstehen und seinen Slang zu enträtseln. Sonst war Jimi o.k. Über seine Zukunftspläne durfte er nicht sprechen.“

Nach dem Interview entschwanden wir in die Nacht auf der Suche nach einem Schlafplatz und hofften uns am Hauptbahnhof irgendwo in eine Ecke verkriechen zu können. Aber – oh je. Und wir waren nicht die einzigen. Hunderte, wenn nicht gar Tausende von jungen Menschen hatten das gleiche Ziel. Doch der Bahnhof war ordentlich abgeriegelt. Es war die Rache des kleinen Spießers. Auf dem Bahnhofsvorplatz befand sich eine riesige Baugrube. Man baute dort gerade das unterirdische Labyrinth aus Einkaufspassagen und Gleisanlagen, welches heute jedermann kennt. Allmählich kroch die Kälte in unsere Kleidung und an allen Ecken zog es. So gegen 3 Uhr nachts fanden wir Schlaf- oder eher Stehschlafplätze in Telefonzellen, wo wir, unbequem zwar, aber doch einigermaßen windgeschützt zusammengekringelt die Augen schließen konnten. Jedoch nicht sehr lange. Denn plötzlich wurden wir wurden durch Lärm und Schreie aprupt geweckt: Unter jenen, die in der Kälte hatten herumvagabundieren müssen, hatte sich eine solche Wut aufgestaut, dass sie begonnen hatten, sich aufzuwärmen, indem sie über die Baustelle herfielen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, abzureißen und in die Baugrube zu werfen. Es dauerte nicht lange, da kamen aus allen Richtungen kleine Polizeitrupps knüppelschwingend angerannt. Wer nicht schnell genug entwischen oder in der Menge der schaulustigen Berufspendler, die aus dem gerade wieder geöffneten Bahnhof strömten, untertauchen konnte, bekam die Staatsgewalt mit voller Wucht von oben zu spüren. Wir entgingen der Schlägerei nur knapp. Ich wollte ein Foto machen und sah zu meinem Entsetzen im Sucher plötzlich einen Ordnungshüter mit wütendem Gesicht und gezogenem Gummknüppel auf uns zustürmen, so dass ich nicht  einmal mehr auf den Auslöser drücken, sondern nur noch angsterfüllt Reißaus nehmen konnte. Wir rannten über eine lange Holzbrücke und tauchten hinter der Menge der Schaulustigen unter.

Am Flughafen tauchten wir später am Vormittag wieder auf. Wir hatten gehört, dass die Monsterkonzert-Stars vom Flughafen Zürich-Kloten wieder in die große weite Welt entschwinden würden. Also wieder mit der Tram zum nächsten „Tatort“. Als wir ankamen, trauten wir unseren Augen kaum. An der Flughafenbar herrschte großer Auftrieb. Alle waren sie da, zusammen mit ihren Managern, Roadies, Groupies und Freundinnen. Hier bekamen wir sogar noch ein Kurzinterview mit dem anderen Superstar des Monsterkonzerts: Eric Burdon. Anders als auf der Bühne begegneten wir einem unvorstellbar freundlichen und lässigen, ja eher schüchternen Eric Burdon. Seine nicht minder sympathische Frau Angie war sogar so freundlich ein Foto von uns mit ihm auf dem Flughafensofa zu machen (das später sogar in unserer Lokalzeitung erschien). Und an der Bar saß – wir trauten unseren Augen kaum – Jimi Hendrix mit seiner Experience und allen sonstigen die noch so dazugehörten. Mir gelang dann auch noch ein immerhin ein richtig guter Porträt-Schnappschuss von ihm. Er und alle anderen waren total cool. Niemand hinderte uns daran, dass wir uns zwischen ihnen bewegten, als gehörten wir dazu. Das Hendrix-Porträt wurde dann –allerdings aus grafischen Gründen seitenverkehrt gekontert – zum Titelbild unserer nächsten  Schülerzeitungsausgabe.  

1. Juni 1968 Kloten Airport, Zürich. Jimi Hendrix © Volker Skierka


 

 

 




 

 

 

 

 

Was ich noch heute besitze, sind mehrere Autogramme von Jimi Hendrix, darunter sogar ein Sammelautogramm, auf dem alle drei von der Experience - Jimi, Mitch Mitchell und Noel Redding – unerschrieben haben. Besonders stolz bin ich allerdings auf ein Autogramm von Jimi Hendrix auf einem DIN-A-3-formatigen „1. Flugblatt der Antiautoritären Menschen“ – einer Anarcho-Jugendbewegung, die damals in Zürich das Establishment in Angst und Schrecken versetzte. Das übergroße Titelbild dieses Plakates war ein Foto von Jimi Hendrix, auf dem er jenes Amulett trug, das er auch am Zürcher Flughafen um den Hals hatte, als ich „mein“ Porträtfoto von ihm schoss.


 









 

 

P.S.: Das nächste Mal sah ich Jimi Hendrix Ende August 1970 auf dem Pop-Festival auf der südenglischen Isle of Wight, knapp drei Wochen vor seinem Tod. Hier – und übrigens nicht in Woodstock – fand das bis heute größte Pop-Festival in der Rock- und Pop-Geschichte statt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Volker Skierka, im Mai 2020

1. Juni 1968 Volker + Norbert beim Interview mit Eric Burdon, Flughafen Zürich-Kloten © Volker Skierka